BGH zur Frage der Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs liegen

BGH, Urteil vom 02.06.2015, AZ: VI ZR 387/14

Hintergrund

Erneut musste sich der BGH mit den Grenzen der Reparatur im Rahmen der sogenannten 130 %-Grenze befassen.

Der Sachverständige ermittelte nach einem KH-Schaden Reparaturkosten von knapp 3.000,00 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 1.600,00 €.

Der Geschädigte ließ anschließend sein Fahrzeug mit gebrauchten Teilen zu Reparaturkosten, die minimal unterhalb der 130 %-Grenze lagen, reparieren.

Die regulierungspflichtige Versicherung erstattete lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert).

Mit der Klage begehrte der Geschädigte die Differenz zu den tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten.

Aussage

Die Entscheidung des VI. Senats des BGH ist grundsätzlich nachvollziehbar und bestätigt die Rechtsprechung der Vergangenheit zu sogenannten 130 %-Fällen.

Erneut bestätigt der BGH, dass der Geschädigte berechtigt ist, sein Fahrzeug mit gebrauchten Teilen instand zu setzen, wenn hier durch die sogenannte 130 %-Grenze nicht überschritten wird. In diesen Fällen hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der vollen Reparaturkosten – allerdings unter der Voraussetzung, dass sach- und fachgerecht exakt nach den Vorgaben des Gutachtens repariert wird.

Der BGH bestätigt in der Entscheidung noch einmal, dass der Geschädigte durchaus berechtigt ist, die Reparatur mit gebrauchten Teilen durchzuführen, auch um eine Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze zu erreichen. Erfreulicherweise macht der BGH aber deutlich, dass zuerst einmal die Einschätzung des Sachverständigen, der in dem streitgegenständlichen Fall die Reparaturkosten mit über 180 % des Wiederbeschaffungswertes kalkuliert hatte, entscheidend ist. Offenbar ohne Rücksprache mit dem Sachverständigen hatte der Geschädigte die Reparatur in Auftrag gegeben, sodass eine Kalkulation des Sachverständigen unter Verwendung gebrauchter Teile nicht vorlag.

Ob auch ohne nochmalige Einschätzung des Sachverständigen der Geschädigte berechtigt ist, eine Reparatur unter Verwendung gebrauchter Ersatzteile zu veranlassen, ist vorliegend durch den BGH nicht entschieden worden. Zumindest aber spricht vieles dafür, dass der BGH den Feststellungen eines Sachverständigen entscheidende Bedeutung beimisst.

Insoweit deckt sich die Entscheidung auch mit Empfehlungen des BVSK, dass der Sachverständige in Fällen, in denen der Geschädigte eine Reparatur des Fahrzeuges mit gebrauchten Teilen beabsichtigt, eine sogenannte Alternativkalkulation anfertigen sollte, bei der auch geprüft wird, ob die gebrauchten Teile verfügbar sind und ob mit gebrauchten Teilen ein vollständiger Reparaturerfolg erreicht werden kann.

In dem jetzt entschiedenen Fall war gar nicht entscheidungsrelevant, ob die gebrauchten Teile hätten verwendet werden dürfen oder nicht, sondern in dem konkreten Fall fehlte es bereits an einer sach- und fachgerechten Reparatur nach den gutachterlichen Vorgaben des Erstgutachtens.

Insoweit entschied der BGH folgerichtig, dass der Ausnahmetatbestand der Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze vorliegend nicht gegeben sei.

Insgesamt stärkt die Entscheidung nochmals die Position des Sachverständigen im Rahmen der Schadenfeststellung bei einem KH-Schaden.

Praxis

Liegen die kalkulierten Reparaturkosten unter Verwendung beispielsweise des Stundenverrechnungssatzes einer fabrikatsgebundenen Werkstatt und bei Verwendung von Neuteilen oberhalb der 130 %-Grenze und beabsichtigt der Geschädigte gleichwohl eine Reparatur des Fahrzeuges, sollte er immer durch den Sachverständigen prüfen lassen, ob bei Verwendung gebrauchter Teile die Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze möglich ist. Der Sachverständige sollte in diesen Fällen eine verbindliche Alternativkalkulation fertigen.